Depesche

Nr. 2 2021

Notizen für Wahlbeamtinnen und -beamte
Kuratiert von Karl-Christian Schelzke
- Pandemie: Föderalismus – ein Anachronismus?
- Rathauschef/in: Undankbarer Knochenjob
- Besoldung: Viel Verantwortung, zu wenig Lohn?

Pandemie: Föderalismus – ein Anachronismus?

Am 31. März 2021 hat Gabor Steingart in seinem täglich erscheinenden Morning Briefing viel Richtiges zum schnelles Handeln verhindernden Föderalismus geschrieben. Deshalb soll im Folgenden einiges wiedergegeben werden.

„Der Kern der dysfunktionalen deutschen Staatlichkeit inmitten der Pandemie ist kein persönlicher, sondern ein historisch-struktureller. In Deutschland ist von den Verfassungsvätern bewusst ein Anti-Führerstaat installiert worden; ein Regierungssystem also, das Leadership eher zerstört als befördert, das in Sonntagsreden mit den Begriffen freiheitlich, sozial und föderal geschmeidig umschrieben wird, dem aber werktags die Etiketten ineffizient, langsam und reformunwillig anhaften. Keine Macht für niemanden.

Der Defekt in der deutschen Führungsstruktur ist ein Geburtsfehler unserer Bundesrepublik. Es waren die Landesfürsten, die nach 1945 von den Militärgouverneuren in den westlichen Zonen beauftragt wurden, eine Verfassung auszuarbeiten. Eine deutsche Zentralgewalt existierte damals noch nicht.

Die Militärs bestanden in ihrer Frankfurter Direktive auf einer „Regierungsform des föderalistischen Typs", die an erster Stelle „die Rechte der beteiligten Länder schützt" und erst danach eine, wie es hieß, „angemessene Zentralinstanz schafft". Es war genauso, wie Adenauer, der bald schon Präsident des Parlamentarischen Rates werden sollte, freimütig feststellte: „Wir sind keine Mandanten des deutschen Volkes, wir haben den Auftrag von den Alliierten. "

Wenn es denn damals ein politisches Grundgefühl gab, das die Vertreter der Länder und Städte mit den westlichen Alliierten verband, dann war es dieses: Nie wieder. Nichts sollte wieder so sein, wie es unter Hitler war. Der Bruch mit der Nazi-Vergangenheit sollte möglichst radikal und unumkehrbar vollzogen werden…

In den Beziehungen zwischen Bund und Ländern entstand eine Verfassung, die auf Einigung besteht, die den Konsens über alles stellt und dabei die staatlichen Gewalten am Ende eben nicht nur geteilt, sondern regelrecht zerbröselt hat.

Man wollte und bekam den schwachen Staat, dessen Zentralgewalt nur in Abhängigkeit von den Ländern regiert werden kann…

Die Länder waren vor dem Bundesstaat entstanden und wussten, wie sich das Recht des Erstgeborenen in politische Münze verwandeln lässt. Sie hatten jene Macht, die der andere Organismus durch sie erst noch bekommen sollte… Regieren heißt im Kern nichts Anderes als Richtungsentscheidungen treffen. Doch die blockierte „Nie-wieder-Republik" tritt mitten in der größten Katastrophe seit 1945 auf der Stelle. Öffnen oder schließen? Testen oder impfen? Impfstoff exportieren oder lieber an uns selber denken? …

Es geht nicht darum, ob Merkel Recht hat – oder Söder oder Laschet. Es geht darum, dass keiner sich durchsetzen darf. Söder, Laschet und Co. spielen exakt die Rollen, die das alte Drehbuch – im Volksmund auch Grundgesetz genannt – für sie vorsieht. Jeder dementiert den anderen, so gut es geht. Wir leben eine Abfolge von Rangordnungskämpfen, aber Führung erleben wir nicht. Die unbequeme Wahrheit ist diese: In Deutschland regieren nicht Rote, Schwarze, Gelbe oder Grüne. Und weil das so ist, regiert das Virus.“

In dem Zusammenhang fällt mir ein, dass ich gerne mal ironisch den Hinweis gebe: „Schlimmer geht immer, also sind wir lieber mit dem Jetzt zufrieden.“ Diese Aussage ist selbst ironisch nicht mehr zu gebrauchen. Strategie und Bewältigung der Pandemie in unserem Lande können nicht schlimmer sein.

Aber im Hinblick auf unseren Föderalismus erinnere ich mich an Winston Churchill, der einmal sinngemäß gesagt haben soll, dass Demokratie die schlechteste Regierungsform sei, man aber keine bessere kenne. Dies könnte angesichts unserer Geschichte auch für den bundesrepublikanischen Föderalismus gelten.

 

Rathauschef/in: Undankbarer Knochenjob

Am 23. August 2019 erschien in der FAZ unter der Überschrift „Längst ein Knochenjob“ ein Artikel von Heike Lattka, der aktueller nicht sein könnte. Wir geben ihn auszugsweise wieder:

Es wäre an der Zeit, einmal Danke zu sagen. Denn mit ganz wenigen Ausnahmen erfüllen die Rathauschefs ihre mitunter schwierige Aufgabe mit Bravour.“ Bürgermeister*innen „stehen sieben Tage in der Woche und 24 Stunden am Tag bereit. Ob es nachts brennt, ein 90 Jahre alter Jubilar zu würdigen ist oder ein neues Baugebiet vor wütenden Anwohnern verteidigt werden muss, sind sie erste Ansprechpartner. In einer Ellenbogengesellschaft, in der jeder zuerst an sich denkt, können gerade diese Interessenvertreter des Kollektivs schnell zu Zielscheiben für hasserfüllte Aktionen werden.

Im Vergleich zu ihren Aufgaben verdienen die Rathauschefs viel weniger Geld als ein vergleichbarer Manager in der freien Wirtschaft. Im Gegensatz zu einem Unternehmensboss muss sich ein Bürgermeister aber tagtäglich bei jedem seiner Bürger verantworten.

Die Kritik aus der Bevölkerung nimmt zudem immer respektlosere Formen an. Insbesondere, wenn es um Baugebiete geht, werden die Köpfe der Verwaltung, die nur Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung ausführen, oft in E-Mails und bei öffentlichen Veranstaltungen aufs Übelste beschimpft. Da muss sich ein Bürgermeister schon ein dickes Fell zulegen, wenn er dieses Amt ohne gesundheitliche Schäden bewältigen will.

 

Ich bin mir absolut sicher, dass jeder unserer Mitglieder dieser Einschätzung aus eigener oftmals leidvollen Erfahrung zustimmen wird. Auch wenn es etwas harmloser klingen mag, aber Bismarck wusste schon: „Wer seine Pflicht tut, ist ein getreuer Knecht, hat aber keinen Anspruch auf Dank“.

 

Besoldung: Viel Verantwortung, zu wenig Lohn?

Unser Verband wurde vom hessischen Innenminister aufgefordert, eine Stellungnahme zur Evaluierung der "Verordnung über die Besoldung, Dienstaufwandsentschädigung und Reisekostenpauschale der hauptamtlichen kommunalen Wahlbeamtinnen und Wahlbeamten auf Zeit (KomBesDAV)" abzugeben. Selbstverständlich werden wir eine Anpassung der Dienstaufwandsentschädigung und der Reisekostenpauschale an die zwischen zeitlich gestiegen Lebenshaltungs- und Sachkosten fordern. Inwieweit wir darüber hinaus aber auch eine höhere Besoldung ins Spiel bringen sollten, erscheint mir angesichts der momentanen Situationen vor Ort nicht vertretbar. Wer anderer Meinung sein sollte, ist eingeladen, dies uns mitzuteilen.


Das war’s für heute

Liebe Kolleginnen und Kollege, bleiben Sie gesund und munter

Das wünscht Ihnen Ihr Karl-Christian Schelzke

Depesche 2-21