Einige Anmerkungen zum ländlichen Raum im aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD für die 21. Legislaturperiode in Hessen

Verband der kommunalen
Wahlbeamten in Hessen e.V.

Karl-Christian Schelzke

Die überwiegende Mehrheit der Mitglieder des VKWH üben ihr Amt im ländlichen Raum aus. Leider haben sich die Koalitionäre nicht für ein eigenes Ministerium für den ländlichen Raum entscheiden können. Stattdessen bleibe der ländliche Raum beim Zuschnitt der Ministerien lediglich ein Anhängsel, wie die designierte Ko-Versitzende der hessischen FDP Wibke Knell und Stefan Naas, anmerken. Unter der Überschrift von Kapitel 8 „Aus Leidenschaft für eine starke Landwirtschaft und ländliche Räume“ (S. 164 ff) sind folgende Ziele benannt:

LÄNDLICHE RÄUME (S. 124)

Wir wollen unsere Kulturlandschaft und Traditionen in allen hessischen Landesteilen weiterhin fördern. Unser Ziel ist es, dem gesetzlichen Anspruch der gleichwertigen Lebensverhältnisse nachzukommen. Dem Auseinanderdriften von städtischen Räumen und ländlichen Gebieten muss entgegengewirkt werden. Wir wollen politische Stabilität gewährleisten, indem wir allen Menschen, unabhängig davon, ob sie in der Stadt oder auf dem Land wohnen, eine Perspektive geben.

Wir wollen durch eine stärker aufeinander abgestimmte Planung in den Bereichen der Siedlungs-, Verkehrs- und Gewerbeentwicklung oder durch interkommunale Zusammenarbeit dezentrale Entwicklungspotenziale nutzen und attraktive Rahmenbedingungen für Unternehmensansiedlungen schaffen.

Wir wollen damit beginnen, Experimentierklauseln zu implementieren, die es Kommunen ermöglichen, auch ungewöhnliche Lösungswege zu erproben, die dann – bei positiven Erfahrungen – auch Grundlage für flächendeckende gesetzliche Regelungen sein können.

Wir wollen noch mehr Behörden dezentral in alle Teile des Landes verlagern bzw. ansiedeln, insbesondere auch in den ländlichen Raum. Diesen Weg setzen wir mit den Mitarbeitendenvertretungen fort. Wir sichern auf diese Weise bürgernahe Dienstleistungen flächendeckend in Hessen sowie Entwicklungsperspektiven für einzelne Regionen. Wohnortnahe Arbeitsplätze, so genannte Hessen-Büros, sollen eingerichtet und genutzt werden. Auf Basis der Erfahrungen in der Finanzverwaltung wird dieses Angebot schnell erreichbarer Hessen-Büros ausgeweitet.

BESONDERE FÖRDERUNG FÜR DEN LÄNDLICHEN RAUM (S. 124)

Unser Ziel ist es, dass möglichst viele Regionen Hessens zu „LEADER-Regionen“ der Europäischen Union werden und von den entsprechenden Fördermitteln profitieren können. Die Erarbeitung der LEADER-Aktionspläne auf regionaler Ebene wollen wir stärken, weil dies eine zielgenaue Förderung für die jeweiligen Bedürfnisse der Region sicherstellt. In diesem Zusammenhang werden wir auch das Regionalbudget verstetigen. Die Mittel für die bestehenden vielfältigen besonderen Förderprogramme für den ländlichen Raum sollen im Dialog mit den Akteuren vor Ort gestärkt, vereinfacht, entbürokratisiert und großteiliger aufgestellt werden.

Wir wollen auch weiter die EU-Kohäsionspolitik für unsere ländlichen Räume nutzbar machen und die Regionalentwicklung und die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse vorantreiben. Um den Abruf dieser Mittel zu erleichtern, werden wir weiterhin Förderlotsen als Ansprechpartner bereitstellen.

Das Programm „Dorfentwicklung“ ist wesentlich für moderne und zukunftsfeste Dörfer. Es bietet jährlich über 100 kleinen Dörfern und Ortsteilen Entwicklungsperspektiven durch finanzielle Zuschüsse. Dieses Programm werden wir finanziell auf aktuellem Niveau verstetigen und weiter private und öffentliche Maßnahmen fördern. Die Höchstgrenze der Förderung werden wir – gerade für geförderte Ortsteilverbünde – deutlich erhöhen.

Für alle kleinen Dörfer, die keinen Zugang zum Programm der Dorfentwicklung haben, werden wir weiterhin das Angebot der Dorfmoderation bereitstellen, um auch hier mit geringerem Mitteleinsatz oder durch Nutzung anderer Angebote eine Entwicklung voranbringen zu können.

Mit dem erfolgreichen Programm „Starkes Dorf – wir machen mit” werden niedrigschwellig und mit vergleichsweise kleinen Beträgen ehrenamtlich getragene Projekte in unseren Städten und Gemeinden umgesetzt. Deshalb werden wir es ausbauen.

Wir wollen ein Programm „DGH 2.0” (Dorfgemeinschaftshäuser 2.0) schaffen, mit dem wir Bürgerhäuser als Keimzelle der Dorfgemeinschaft etablieren und weiterentwickeln. Wir wollen sie – orientiert am Bedarf vor Ort – stärker auch für Zwecke der Daseinsvorsorge nutzbar machen, in denen multifunktionale Einrichtungen entstehen können. Auch Co-WorkingSpaces, dezentrale Bildungsorte, gewerbliche, kulturelle und soziale Treffpunkte, integrieren. Denkbar sind auch Nutzungen für Verkaufsläden, mobile Praxen oder Apotheken.“

Im Kapitel „Kommunalfinanzen“ (S. 168) heißt es: „Wir werden die Kommunalisierungsvereinbarung zwischen Land und Kommunen evaluieren mit dem Ziel, unter anderem die Ämter für den ländlichen Raum zu stärken.“

Ein besonderes, noch zu lösendes Problem stellt sich: Es ist jedoch nicht klar, wo und von wem diese ambitionierten Ziele angegangen werden sollen. Künftig wird es ein von der CDU geführtes Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt, Weinbau, Forsten, Jagd und Heimat sowie ein SPD-geführtes Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlicher Raum geben. Was ressortiert nun unter „Heimat“ und was unter „ländlicher Raum“? Die Gefahr der Doppelverantwortungen und der damit verbundenen Kooperations- sowie Koordinationsprobleme scheinen damit vorprogrammiert zu sein. Die ländlichen Räume gehören mit einer eigenen Stimme an den Kabinettstisch. 2019 hatte die SPD für den Fall der Regierungsübernahme die Einrichtung einer Landesbeauftragten für den ländlichen Raum vorgesehen. In einer solchen Position könnte eine Interessen- und Aufgabenbündelung und damit eine verschleißfreie Koordination eher gewährleistet werden.

Ländlicher Raum in Hessen