Depesche

Nr. 4 2021

Notizen für Wahlbeamtinnen und -beamte
Kuratiert von Karl-Christian Schelzke
- Parlamentarische Gepflogenheiten: Gebührt der stärksten Fraktion das Vorschlagsrecht für den Vorsitzenden/ die Vorsitzende der Gemeindevertretung/ der Stadtverordnetenversammlung?
- Kommunikation: Verkommt unsere Debattenkultur?
- Hinweise: Über welche Eigenschaften sollten Bürgermeister*innen verfügen?

 

  1. Parlamentarische Gepflogenheiten: Gebührt der stärksten Fraktion das Vorschlagsrecht für den Vorsitzenden/ die Vorsitzende der Gemeindevertretung/ der Stadtverordnetenversammlung?

In vielen hessischen Kommunen ist man nicht mehr der seit langem geübten parlamentarischen Gepflogenheit gefolgt und hat der stärksten Fraktion den Vorsitz in der Gemeindevertretung beziehungsweise der Stadtverordnetenversammlung verweigert.

Viele von uns beklagen den zunehmenden Werteverfall, einen immer rüder werdenden Ton in der Politik, insbesondere auch vor Ort, den mangelnden Respekt vor dem/der Andersdenkenden und eine insgesamt fehlende Wertschätzung. Klagen allein ändert nichts.

Es muss uns allen stattdessen um Folgendes gehen: Politisches Handeln und Entscheiden hat sich, vor allem vor Ort eingedenk demokratischer Traditionen, an der Sache und nicht allein an parteipolitischen Mehrheitsverhältnissen zu orientieren. Nur so kann auch einem zunehmenden Vertrauensverlust der Menschen gegenüber den politischen Entscheidern entgegengewirkt werden.

Es ist eine lange parlamentarische Tradition, dass seitens der Mehrheit der stärksten Fraktion das Amt des Stadtverordnetenvorstehers beziehungsweise der Stadtverordnetenvorsteherin zugebilligt wird. Dass man in einigen Kommunen meint, sich hieran nicht mehr halten zu müssen, kann und darf keine Rechtsfertigung sein, ihnen es gleich zu tun.

Wohlgemerkt, es ist nur eine Tradition und kein in der Hessischen Gemeindeordnung verbrieftes Recht. Aber auch nicht alle Werte, die ein gedeihliches Miteinander erst ermöglichen, sind rechtlich festgeschrieben. Wie glaubhaft kann es sein, wenn man sich morgens über das Schwinden gemeinwohlfördernder Werte beklagt, um dann abends den Bruch eben solcher gut zu heißen?

  1. Kommunikation: Verkommt unsere Debattenkultur?

Florian Harms hat in „t-online-Tagesanbruch“ am 24. April 2021 Bemerkenswertes geschrieben, das sich an die Vorbemerkungen nahtlos anschließt: „Wir sind drauf und dran, uns ähnlich zu radikalisieren wie in den USA, wo viele Bürger nicht mehr miteinander reden, sondern einander nur noch anschreien. Die Debatte über die Aktion "Alles dicht machen" von deutschen Schauspielern zeigt, wie weit die Polarisierung auch bei uns schon fortgeschritten ist. Man mag von den Videos halten, was man will (ich persönlich finde manche witzig, andere platt), aber mit einer differenzierten Ansicht dringt man im öffentlichen Schlachtenlärm nicht mehr durch. Die Beiträge werden entweder absurd verherrlicht ("Endlich prangern Promis die Corona-Diktatur an!") oder absurd verteufelt ("Eklig, grauenhaft, hilft nur den Querdenkern!").

Es zählt nur noch das Dafür oder Dagegen – und leider haben viele Publizisten und Politiker einen großen Anteil daran. Journalisten werden zu Aktivisten und blasen ihre Lockdown-Epistel in die Welt, Politiker duellieren sich in Twitter-Gefechten – und wenn alle lang genug herumgeblökt haben, dürfen sie das Spektakel noch mal in den TV-Talkshows wiederholen. So ist das in der Anschrei-Republik: Jeder Wichtigheimer gibt seinen Senf dazu, schnelle Meinungen zählen mehr als ausgewogene Argumente. Je radikaler ein Kommentar, desto größer der Erfolg, die perfiden Algorithmen der "sozialen" Medien belohnen Extremes. Zwischentöne und differenzierte Stimmen haben gegen den Chor der Lautsprecher selten eine Chance – ob es nun um Corona geht, um Klimaschutz oder um Gendersprache.

Formularbeginn

Schwarz oder weiß, Freund oder Feind, meine Meinung gegen deine: So vergiftet der Aktivismus unsere Gesellschaft. Manchmal wünsche ich mir, die großen Satiriker Karl Valentin, Heinz Erhardt oder Loriot würden noch leben, um uns mit einem Sketch oder Gedichtchen vor Augen zu führen, wie absurd wir uns benehmen. Wir brauchen dringend weniger Rage und mehr Humor.“

  1. Hinweise: Über welche Eigenschaften sollten Bürgermeister*innen verfügen?

Churchill ist der Meinung, dass ein guter Politiker über folgende Eigenschaften verfügen sollte:

„Zu einem guten Politiker gehören die Haut eines Nilpferdes, das Gedächtnis eines Elefanten, die Geduld eines Bibers, das Herz eines Löwen, der Magen des Vogel Strauß und der Humor einer Krähe. Diese Eigenschaften sind allerdings noch nichts wert ohne die Sturheit des Maulesels.“

Es ist bestimmt nicht verkehrt, wenn auch Bürgermeister*innen – gerade in diesen Zeiten – entsprechend gewappnet sind.

Nun zur Realität: Auf der Homepage der Gemeinde Trappenkamp findet sich unter der Überschrift „Was muss ein Bürgermeister können und was sollte er in seinem persönlichen Profil mitbringen?“ eine der Realität verdammt nahekommende und ernstgemeinte Beschreibung:

„Der Bürger will ernstgenommen werden und will auch das Gefühl haben, dass sein Anliegen nachhaltig bearbeitet wird. Das muss und wird nicht immer im Sinne des Bürgers ausgehen. Aber der Mitbürger hat Anspruch darauf zu verstehen, warum und wieso.

Schreckensszenarien zu verbreiten ist schlechter Stil, verunsichert die Menschen und es kann sich kaum Vertrauen aufbauen. Der Bürger erwartet, dass solche Szenarien erst gar nicht entstehen, weil die Verwaltung, die Gemeindevertreter und der Bürgermeister alle Herausforderungen im Griff haben.

Deshalb sollte der Bürgermeister authentisch, ehrlich, geradlinig und stark in der Persönlichkeit sein.

Mit Sachgesprächen soll der Bürgermeister bei Fachbehörden des Landes oder des Kreises vorstellig werden oder telefonieren, um die Belange der Gemeinde zu vertreten, um z. B. Zuschüsse zu bekommen und um Unterstützung für Projekte zu werben.

Dazu ist ein wacher Verstand, Charisma, geschulte Gesprächsführung und die Fähigkeit, sich in Sachverhalte schnell und fundiert einzulesen, von Vorteil.

Hilfreich sind dabei auch eine gute Ausbildung und der Erfahrungsschatz des täglichen Berufslebens.

Ein Teil seiner Zeit verbringt der Bürgermeister mit Gesprächen im Parteiverkehr, bei Terminen oder und mit Bürgern. Dazu gehören Autorität, Seriosität und Überzeugungskraft. Zum Wohle der Gemeinde, nicht zum Wohl des Einzelnen.

Ein Bürgermeister sollte auch eine gute Moderatorenfähigkeit zum Leiten von Arbeitsgruppen, Sitzungen und Besprechungen besitzen. Oft müssen komplexe Sachverhalte abgewogen, schwierige Gesprächsteilnehmer z.B. bei Bauprojekten zu konstruktiver Mitarbeit motiviert, sowie unterschiedliche Meinungen zu einem Ergebnis geführt werden. Oft sind es aber auch reine Routinebesprechungen mit Mitarbeitern. Dazu gehören Dienstbesprechungen mit der Verwaltung, Besprechungen im Bauhof und bei Außeneinsätzen im gesamten Gemeindebereich, Sitzungen der Gemeindevertretung, der Ausschüsse, Haushaltsberatungen und die Sitzungen der Verwaltungsgemeinschaft.

Gewisse Grundfähigkeiten wie sachliche Ruhe, Belastbarkeit, Geduld und eine starke Persönlichkeit insbesondere im Umgang mit Menschen sollte ein Bürgermeister schon haben. Dies sind Fähigkeiten die man in seinem Berufsleben erlernen und ausprägen kann.

Als Manager der Gemeinde führt er die Mitarbeiter der Gemeinde. Dazu gehören persönliche Gespräche, Organisation von Abläufen und das Lösen von verwaltungstechnischen Problemen, beispielsweise bei Gebührenbescheiden oder Abrechnungen. Eine „gut funktionierende“ Gemeindearbeit besteht in erster Linie aus Menschen, die man leiten und motivieren sollte. Das Führen von Mitarbeitern muss erlernt und geschult sein und erfordert Fingerspitzengefühl, Erfahrung, aber auch Selbstdisziplin und Fairness. Erfahrungen im Beruf in der Führung von Personal sind ein wesentliches Kriterium für dieses hohe Amt.

Kritikfähigkeit und Standhaftigkeit sollten keine Phrasen sein, denn ein Bürgermeister muss belastbar sein, weil es auch Beschwerden von unzufriedenen Bürgern geben wird. Diese Situationen sollte man gewohnt sein, damit man souverän damit umgehen kann und vor allem, dass dies nicht zur Belastung des Privatlebens führt. Es gibt wohl nur wenige Berufsgruppen die ähnlich im öffentlichen Fokus stehen und einem enormen Leistungsanspruch ausgesetzt sind.

Mit Belastungen gut umgehen zu können und trotzdem Bürgernähe zu verinnerlichen, das sollte in der „Amtsstube“ des Bürgermeisters täglich gelebt werden.

Gute Rhetorik bei Ansprachen, Begrüßungsreden oder Grußworte hilft dem Bürgermeister einer kleinen Kommune dabei, sich gut darzustellen, aber dies ist definitiv nicht das ausschlaggebende Merkmal und qualifiziert einen Bürgermeister nicht automatisch dazu ein guter Bürgermeister zu sein.

Und zum Schluss: Betriebsblindheit wurde zum Glück noch nie als Fähigkeit gesehen!“

Das alles soll jetzt von mir nicht weiter kommentiert werden. Aber vielleicht haben Sie eine durch Ihre Erfahrungen geprägte Meinung, die Sie unter info@vkwh.de uns mitteilen möchten.

Übrigens: In der nächsten Depesche klären wir Sie über die 12 goldenen Regeln für den Umgang mit Bürgermeister*innen auf. Freuen Sie sich auf diese leider nicht nur ironisch, sondern auch täglich zu erlebenden Handlungsanweisungen!

 

Machen Sie es gut und bleiben Sie gesund
das wünscht Ihnen Ihr Karl-Christian Schelzke