Depesche

Nr. 1 2023

Notizen für kommunale Wahlbeamtinnen und -beamte
Kuratiert von Karl-Christian Schelzke
- Das Urteil gegen Peter Feldmann
- Das sogenannte Teich-Urteil
- Querdenker - Das Urteil
- Gewalt und Anfeindungen gegenüber Kommunalbeamten

Das Urteil gegen Peter Feldmann

Man kann über Peter Feldmann manches Negatives sagen, vor allem über sein ungeschicktes Verhalten. Man muss ihn auch nicht mögen. Aber wo viel Schatten ist, da ist oft auch viel Licht. Damit soll es nun sein Bewenden haben. 

Etwas Anderes ist jedoch das gegen ihn ergangene Urteil, das nicht wirklich überrascht hat. Der Frankfurter Journalist Mark-Joachim Obert hat dennoch für seine kritische Bewertung, der ich mich voll und ganz anschließe, die Überschrift „Überraschendes Urteil“ gewählt (https://www.fnp.de/frankfurt/feldmann-prozess-ein-ueberraschendes-urteil-im-91994320.html). Nachfolgend wird der für mich überzeugende Kommentar in vollem Umfang zur Kenntnis gegeben:

„Das Urteil gegen Peter Feldmann hat mich überrascht. Ich betone hier meine Subjektivität, weil andere ihre Argumente haben werden, das Urteil zu begrüßen. Ich sehe hier ein Verdachtsurteil, wie es zuweilen selbst bei schweren Kapitalverbrechen gefällt und dann von Anwälten in langwierigen Wiederaufnahmeverfahren anzufechten versucht wird.

Auch im Prozess Feldmann erwiesen sich die Indizien als schwach, eindeutig belastbare Beweise für Vorteilsannahme, vulgo Korruption, blieb die Staatsanwaltschaft folglich schuldig. Die Einlassungen der maßgeblichen Zeugen dienten nicht einmal dazu, den Verdacht zu erhärten. Im Gegenteil: Die ehemalige AWO-Geschäftsführerin Hannelore Richter entlastete Feldmann - obgleich sie aus ihrer Antipathie gegen ihn keinen Hehl machte. Eine SMS-Korrespondenz gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Feldmann die AWO-Chefin bewusst im Glauben ließ, er würde sich irgendwann mal erkenntlich zeigen.

Kurzum: Dass Feldmann mit Kalkül sein Amt benutzte, um seiner dafür nicht qualifizierten Ex-Frau zu einem gutdotierten Job als AWO-Kita-Leiterin zu verhelfen, bleibt eine Vermutung.

Dem Gericht genügt mithin der Anschein der Käuflichkeit, auch, weil es für nicht plausibel hält, dass Feldmann das Gewicht seines Amtes in dieser Causa nicht bewusst gewesen sein könnte. Anklage und Richter sprechen von einer 'stillschweigenden Unrechtsvereinbarung', führen dafür eine AWO-Rückkehrvereinbarung von 2012 für den damals neuen OB an. Aber ist das nun plausibel? Denn wenn die AWO sich damit schon Feldmanns Wohlwollen gesichert haben sollte, warum sollte sie dann noch Feldmanns Frau bevorzugen?

Dass Feldmann nicht nur in diesen Fällen das nötige Gespür für Amt und Würde vermissen ließ, auch dafür hat ihn der Wähler im November zurecht abgestraft. Politische Urteile sind oft auch psychologisch grundiert, vor nachteiligen Schlussfolgerungen der Bürger ist ein Politiker nicht gefeit. Vor naturgemäß schwerwiegenderen Verdachtsurteilen eines Gerichts sollte jeder sicher sein. Auch ein selbstgefälliger Ex-OB.“

Diesen Aussagen ist meinerseits nichts weiter hinzuzufügen, außer der Frage, welche politischen Auswirkungen zu erwarten gewesen wären, wenn das Gericht Feldmann freigesprochen hätte.

 

Das sogenannte Teich-Urteil

Im Sommer 2016 ertrinken in der nordhessischen Kleinstadt Neukirchen drei Kinder, die unbeaufsichtigt unterwegs waren, in einem seit über hundert Jahren zum Baden genutzten Dorfteich. Vier Jahre später wird der ehemalige Bürgermeister Klemens Olbrich vom Landgericht Marburg wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen für schuldig gesprochen. Das zuständige Amtsgericht verurteilt ihn zu 12.000 Euro Geldstrafe wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Er sei an dem Unglück mitschuldig, da er seine Verkehrssicherungspflicht vernachlässigt habe. Er hätte die gefährlichen Uferstellen nicht gesichert.

Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Amtsgericht Schwalmstadt habe ich Bürgermeister Olbrich als Strafverteidiger vertreten und das Gericht eindringlich darauf hingewiesen, dass niemand vor Ort, auch nicht Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr oder des Ortsbeirates, auch nur ansatzweise auf entsprechende Gefahren hingewiesen haben.

Des Weiteren wurde eine Vielzahl von vergleichbaren, nicht gesicherten Wasserflächen dem Gericht zur Kenntnis gegeben. Hierdurch sollte dargelegt werden, dass Bürgermeister Olbrich nicht gegen die geforderte verkehrsübliche Sorgfaltspflicht verstoßen hat. Auch in anderen Strafverfahren habe ich den Eindruck gewonnen, dass entgegen der in Hessen geltenden Unechten Magistratsverfassung, Staatsanwaltschaften und Gerichte von einer Allzuständigkeit der hessischen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister ausgehen. Im Rahmen der Veranstaltung zum 125-jährigen Bestehen der hessischen Bürgermeistervereinigung haben wir die Frage in der Raum gestellt, ob die nur in Hessen und Bremerhaven geltende Unechte Magistratsverfassung noch zeitgemäß ist. Der VKWH wird eine öffentliche Diskussion hierzu auf den Weg bringen. (Über die am 18. November 2022 in Wiesbaden stattgefundene Jubiläumsveranstaltung wird noch eine Dokumentation erscheinen).

Unter Bezugnahme auf das oben genannte Urteil hat Ralf Euler in der FAZ vom 9. Februar 2023 unter der Überschrift „Last der Verantwortung“ folgende überaus treffende Anmerkungen geäußert: "Der Fall ist „symptomatisch für den zunehmenden Verantwortungsdruck, unter dem Kommunalpolitiker leiden müssen. Beleidigungen, Drohungen und Verleumdungen im Internet sind bei vielen Amtsträgern bereits an der Tagesordnung. Wenn sie sich nun auch noch um alle möglichen Gefahrenstellen in ihrer Gemeinde kümmern sollen, wird sich jeder mögliche Bewerber noch dreimal öfter überlegen, ob er sich ein solch riskantes Amt zumuten möchte. Bürgermeister sollen sich ‚nach bestem Wissen und Gewissen‘, wie es in der Vereidigungsformel heißt, für ihre Bürger einsetzen. Das kann aber nicht bedeuten, dass sie für jedes Lebensrisiko Verantwortung tragen und für alles, was in ihrer Gemeinde geschieht, persönlich zur Rechenschaft gezogen werden dürfen.“

In gleicher Art und Weise hat sich eine Leserin im Starkenburger Echo vom 3. März 2023 geäußert: „Kann und muss eine Gemeinde die Menschen vor allen Tücken des Lebens schützen. … Wer kann und möchte es sich andernfalls noch leisten, als Bürgermeister zu kandidieren, wenn solche Urteile zum Präzedenzfall werden?“

Die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum bringt es in ihrem Buch „Königreich der Angst“, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 2019, eindrucksvoll auf den Punkt, wenn sie schreibt: Wir erwarten, „dass die Welt zu unseren Diensten steht. Zu denken, an jedem schlimmen Ereignis sei irgendjemand schuld, befriedigt unser Ego und ist in einem tieferen Sinn beruhigend. Die Schuldzuweisung und die Verfolgung des ‚Missetäters‘ sind zutiefst tröstlich; Sie geben uns das Gefühl von Kontrolle statt Hilflosigkeit.“

 

Querdenker - Das Urteil

Im November 2021 hat ein der Querdenkerszene angehörender, ehemaliges AfD-Mitglied, in einem Telegram-Kanal dazu aufgerufen, gegen den Erbacher Bürgermeister Peter Traub, vor dem Wohnhaus des Bürgermeisters zu demonstrieren. Wörtlich: "Er muss bedroht werden" und "Die Familie fühlt sich dann nicht mehr sicher". Der Bürgermeister hatte die Schließung einer Erbacher Bäckerei veranlasst, weil der Inhaber monatelang gegen Corona-Regeln verstoßen hat. In deren Folge hatte sich eine größere Gruppe von Querdenkern vor der Bäckerei versammelt und gegen die Schließung demonstriert.

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt hat gegen den aus Brombachtal stammenden Mann Anklage wegen der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) erhoben. Obwohl diese Straftat nicht zu den in § 395 StPO aufgeführten rechtswidrigen Taten gehört, die eine Nebenklage ermöglichen, wurde Bürgermeister Dr. Traub mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft als Nebenkläger zugelassen, weil dies aus besonderen Gründen zur Wahrnehmung seiner Interessen geboten erscheint. Als Geschäftsführer des VKWH habe ich Dr. Traub anwaltlich vertreten und im Antrag auf Zulassung der Nebenklage Folgendes ausgeführt: „Bürgermeisterinnen und Bürgermeister stehen im Blickpunkt der Öffentlichkeit, dies gilt umso mehr, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um eine Kleinstadt handelt. Aufgrund der nicht nur in den sozialen Netzwerken verbreiteten Beschimpfungen, Bedrohungen und Hassmails sind gegen sie, aber auch gegen ihre Familien gerichtete tätliche Angriffe nicht auszuschließen. Die öffentlich gegen die Familie meines Mandaten angekündigte Demonstration vor dem Wohnhaus der Familie, um Druck auszuüben, ist Bürgermeister Dr. Traub – auch wenn er dies aufgrund der durch sein Amt bedingten Zurückhaltung – nicht deutlich zu erkennen gegeben hat, erheblich … belastet.“

In meiner Rede am 18. November 2022 bei der Jubiläumsveranstaltung des VKWH habe ich in Bezug auf dieses Verfahren die Frage aufgeworfen, ob man kommunalen Wahlbeamten nicht grundsätzlich für solche Verfahren eine Nebenklageberechtigung zubilligen muss. Durch das Urteil des Amtsgerichtes Michelstadt ist ein erster Schritt in diese Richtung erfolgt.

Der Angeklagte wurde zu 70 Tagessätzen verurteilt.

 

Gewalt und Anfeindungen gegenüber Kommunalbeamten

Das jährliche Treffen der örtlichen Präventionsgremien mit dem Landespräventionsrat fand am Dienstag, den 21. März 2023 in der Justus-Liebig-Universität statt. Das gemeinsam mit der Stadt Gießen erstellte Programm widmete sich dem Thema "Beleidigungen, Bedrohungen, Hass und Gewalt gegen kommunale Amts- und Mandatsträgerinnen und Mandatsträger“.

Prof. Dr. Britta Bannenberg stellte Gewaltbetroffenheit von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und von Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Hessen vor, die aus verschiedenen Studien der Uni Gießen deutlich werden. Dabei ging es insbesondere um Verhaltensmuster, Schutzmaßnahmen, Schulungen und das Anzeigeverhalten. Es sei zu überlegen, ob Maßnahmen aus der Pandemie nicht weiterzuführen seien (Distanz, Glasscheiben etc. in Behörden).

Die Kriminologin stellte bezogen auf Amts- und Mandatsträger dar, dass der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni 2019 zweifellos einen negativen Höhepunkt der Gewalt markiere. Nicht erst seit diesem Ereignis steht die Frage im Raum, ob – und wenn ja, warum – Gewalt gegen Amts- und Mandatsträger ansteigt.

„Die Gewalt und die Aggressionen gegen Amts- und Mandatsträger nehmen zu. Der Gewaltbegriff kann dabei viele Facetten umfassen. Wenig sinnvoll scheint es, ihn auf schwerwiegende Formen der physischen oder psychischen Beeinträchtigungen zu beschränken. Auch Beleidigungen und Bedrohungen können belastend sein und von den Betroffenen als einschränkend empfunden werden, weshalb es sich verbietet, nur Körperverletzungen oder (versuchte) Tötungsdelikte einzubeziehen. Stattdessen sollte man ein weites Verständnis von "Gewalt und Aggression" zugrunde legen. "Leichtere" Formen der Anfeindungen wie Beleidigungen, Abwertungen, Hass-Postings oder Drohungen sind typischerweise häufiger als schwere Gewaltformen“, so Prof. Dr. Bannenberg.

Jenseits der Frage von Strafverfolgung von Beleidigungen, Bedrohungen, Hass und Gewalt gegen kommunale Amts- und Mandatsträgerinnen und Mandatsträger stellten insbesondere die Vertreter der Polizei klar, wie wichtig das Anzeigeverhalten von betroffenen Mandatsträgern sei. Diese dienen nicht nur dem notwendigen Lagebild, sondern sind Grundlage für polizeiliche, präventive und repressive Interventionen.

Der VKWH bittet die Bürgermeister/innen aus diesem Grund, bei entsprechenden Erfahrungen unbedingt bei der Polizei vorstellig zu werden und Anzeige zu erstatten. Es ist aus unserer Ansicht nicht angezeigt, zunächst den gerichtlichen Klageweg zu bestreiten, da für die Strafverfolgung Fristen zu beachten sind. Die rechtzeitige Anzeige wahrt hier die Interessen der betreffenden Opfer von Hass und Gewalt. Die Geschäftsführung des VKWH ist hierbei gerne behilflich.