Depesche

Nr. 1 2022

Notizen für Wahlbeamtinnen und -beamte
Kuratiert von Karl-Christian Schelzke
- Ist es nötig, dass sich alles verändert?
- Lebenshilfe für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister
- Besorgniserregende Debattenkultur in Kommunalparlamenten
- Nachruf auf Klaus Hesse

 

Ist es nötig, dass sich alles verändert?

Als Bundeskanzler Olaf Scholz am 28. Februar 2022 anlässlich des Überfalls Russlands auf die Ukraine von einer Zeitwende sprach, mag manch einer sich an den Ausspruch des Tancredi Falcone im Roman Der Leopard des italienischen Schriftstellers Giuseppe Tomasi di Lampedusa erinnert haben. Tancredi, Neffe des sizilianischen Fürsten Salina, äußerte sich angesichts der von dem Revolutionär Garibaldi ausgehenden Bedrohung des italienischen Adels mit dem bemerkenswerten Satz „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass sich alles verändert.“

Was kann im übertragenen Sinn angesichts der furchtbaren Ereignisse in der Ukraine mit der alles umfassenden Veränderung gemeint sein. Zum einen müssen wir unsere Bundeswehr, um die bisherige Sicherheit uns zu erhalten, neu strukturieren und mit den erforderlichen Verteidigungswaffen derart befähigen, dass sie einen gegnerischen Angriff abschrecken kann (siehe die Sonder-Depesche vom 1. März 2022).  Zum anderen müssen wir durch einen enorm verstärkten Ausbau in erneuerbare Energien, aber gegebenenfalls auch durch eine Laufzeitverlängerung der Kohlekraftwerke, dafür Sorge tragen, dass wir zumindest von russischen Energielieferungen weitestgehend unabhängig werden.

Das sind Herkulesaufgaben, die auch von jedem einzelnen von uns Einschränkungen und Belastungen abfordern werden. Dem ist so und da hilft auch keine lediglich auf Hoffnung basierende Schönfärberei. Vor allem auch, weil die Städte und Gemeinden und damit ihre Bürgerschaft erheblichen Herausforderungen ausgesetzt sein werden.

Neben den energiepolitischen Auswirkungen stehen natürlich die humanitären Auswirkungen vor Ort im Mittelpunkt.

Der VKWH dankt allen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern Großartiges leisten, um ukrainischen Flüchtlingen einen sicheren Zufluchtsort zu gewähren.

Vor allem aber sei der Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern mit größtmöglicher Solidarität gedacht, die heldenmütig helfen, ihre Stadt zu verteidigen und damit rechnen müssen, den Besatzern zum Opfer zu fallen.


Lebenshilfe für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister

Statt einer Buchempfehlung wollen wir heute auf ein sensationelles Video der leider schon verstorbenen Motivationstrainerin Vera Birkenbihl hinweisen, gerade in diesen schwierigen Zeiten ein lohnenswerter Beitrag. Vor allem dann, wenn man wissen möchte, wie man mit von der Opposition (oder den eigenen Leuten) oder Querulanten verursachten Ärger sinnvollerweise umzugehen hat.

www.youtube.com/watch?v=qh46hGH56qk


Besorgniserregende Debattenkultur in Kommunalparlamenten

In der Offenbach Post vom 26. März 2022 findet sich in einem Kommentar, der sich mit den kommunalpolitischen Verhältnissen in einer Stadt befasst, folgende Aussage: „Für jedermann sichtbar, hauen und stechen sich die Politiker gerade in sozialen Netzwerken und beschmeißen ihre Gegner verbal mit Dreck.“

Am 12. Januar 2022 hat der VKWH zu diesem Thema folgende Presserklärung abgesetzt:

Der Verband der Kommunalen Wahlbeamten nimmt Stellung zur aktuellen Diskussion um Hass und Hetze in der Politik.

Hessens Bürgermeisterinnen und Bürgermeister fordern einen konsequenten Kampf gegen Bedrohungen von Kommunalpolitikern. Der Staat müsse solche Delikte klar erkennbar verfolgen. Es ist Bürgermeister Matthias Baaß, dem Präsidenten der Hessischen Städte- und Gemeindebundes, zuzustimmen, wenn er jüngst darauf hinweist, dass der in den sozialen Netzwerken beobachtete aggressive Ton gegen Kommunalpolitiker auch zunehmend im persönlichen Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern anzutreffen ist, so Karl-Christian Schelzke, der Geschäftsführer des Verbandes der kommunalen Wahlbeamten in Hessen.

„Darüber hinaus beklagen immer mehr unserer Mitglieder einen zunehmend rauer werdenden Ton in den Gemeindevertretungen und Stadtverordnetenversammlungen“, so Schelzke. Immer weniger stünde der Wille, zu einer sachgerechten Lösung zu gelangen im Mittelpunkte, sondern man kämpfe mit harten Bandagen. Allein der Selbstdarstellungen dienende Äußerungen seien an der Tagesordnung. „Das mag auch daran liegen, dass immer mehr auch Kleinstgruppierungen dort vertreten sind, die um Aufmerksam ringen müssen“, so der Geschäftsführer. Es sei auch bezeichnend, dass sich Besucher/innen der Plenarsitzungen bestürzt über den Umgang der Gemeindevertreter untereinander zeigten.

Schelzke betont: „In einer historischen Landtagsdrucksache zur Novellie-rung der Hessischen Gemeindeordnung aus dem Jahre 1951 wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Kommunalpolitik eine Vorbildfunktion haben müsse. Wörtlich heißt es ‚Hier sammelt überhaupt der Bürger die Eindrücke und Erfahrungen, nach denen er den ganzen Staat beurteilt‘. Umso wichtiger ist es, dass die politischen Auseinandersetzungen, über die in den Lokalzeitungen und sozialen Netzwerken berichtet wird, nicht die erforderliche gegenseitige Wertschätzung vermissen lassen, die für einen sachgerechten Meinungsstreit erforderlich ist. Es ist daher zu befürchten, dass immer weniger Bürgerinnen und Bürger bereit sind, ein kommunalpolitisches Ehrenamt zu übernehmen“. Es drohe mithin die Gefahr, dass der lokalen Demokratie die Akteure ausgehen. Die Kommunen seien dann nicht, wie Präsident Baaß anführt, die Lernorte zur Stärkung der politischen Bildung.

Der Verband der Kommunalen Wahlbeamten (VKWH) begrüßt die flächendeckenden Präventionsangebote in Deutschland, wie etwa das Online-Portal „Stark im Amt“. Das allein reiche jedoch nicht, so Schelzke. Nicht nur Kommunalpolitiker/innen werden bedroht. Auch die Debattenkultur in Kommunalparlamenten sei besorgniserregend.  „Es bedarf hier zivilgesellschaftlicher Reaktionen. Bürgerinnen und Bürger dürften es nicht hinnehmen, dass die sich für die Allgemeinheit einsetzenden Menschen im Netz verunglimpft werden und dass in den Kommunalparlamenten der Ton immer rauer und Wertschätzung zu einer Ausnahmeerscheinung werde“.

Schelzke verweist auf die örtlichen Präventionsgremien, die sich aus seiner Perspektive heraus dieser Thematik annehmen sollten. Es kann eine Aufgabe der Präventionsräte sein, mit Betroffenen klärende Gespräche zu führen, um aufzuzeigen, welche Vorbildfunktion die Gemeindevertreter/ innen für unsere Demokratie wahrzunehmen haben. Dort, wo es noch keine solchen Gremien geben, könnten sich interessierte und engagierte Bürger/innen organisieren. Schelzke wird die Idee auch verstärkt in die Sachverständigenkommission für Kriminalprävention der Hessischen Landesregierung (Landespräventionsrat) einbringen, die schon im Vorfeld der Pandemie das entsprechende Thema aufgerufen hat.

  

Klaus Hesse ist tot

Es hat viele sehr betroffen gemacht und das wird auch noch eine lange Zeit so bleiben. Nach kurzer und schwerer Krankheit ist am 19. Januar 2022 der ehemalige Kirchhainer Bürgermeister und langjährige Unternehmens-, Kommunikations-  und Organisationberater Klaus Hesse gestorben.

Klaus Hesse, der einen theologischen und pädagogischen Universitätsabschluss hatte, dürfte vielen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die einen seiner Lehrgänge im Rahmen des Freiherr-vom-Stein-Institutes (HSGB) besucht haben, als ein feinsinniger und mit sehr viel Empathie befähigter Ratgeber in Erinnerung bleiben. Es wird mehr als schwierig werden, für ihn eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu finden. Klaus Hesse hat immer wieder Menschen, die in einer beruflich schwierigen Situation sich befanden, mit hohem Einfühlungsvermögen Lösungswege aufgezeigt. Seine Stärke war es, keine vorgefertigten Strategien zu vermitteln, sondern mit hohem persönlichen Einsatz erfolgreiche Strategien gemeinsam mit den Betroffenen zu erarbeiten.

Er wird nicht nur seiner Familie, sondern sehr vielen fehlen. Auch denen, die nicht seiner Hilfe bedurften, ihn aber als liebenswerten und zuhörenden Gesprächspartner schätzten.

Unter „Trauer um einen Kirchhainer Menschenfreund“ kann in der Oberhessischen Presse vom 22. Januar 2022 sein kommunalpolitischer Weg nachvollzogen werden.

 

Depesche 1-22