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Erste hessische Kommunalwahlen nach dem 2. Weltkrieg

Vor 75 Jahren fanden Anfang des Jahres 1946 in Hessen die ersten Kommunalwahlen nach dem 2. Weltkrieg statt. Die Stadt Mühlheim am Main hat aus diesem Anlass am 26. Oktober 2021 eine Feierstunde ausgerichtet, bei der Karl-Christian Schelzke einen Festvortrag halten durfte. Bevor er auf die historischen Bezüge zu Mühlheim am Main zu sprechen kam, hat er einige grundsätzliche Anmerkungen zur kommunalen Selbstverwaltung vorgetragen. Diese können auszugsweise hier nachgelesen werden.

Erste Nachkriegswahlen in Mühlheim am Main

Auszuge aus einer von Karl-Christian Schelzke in Mühlheim am Main gehaltenen Rede, die er am 26. Oktober anlässlich einer Feierstunde zum 75-jährigen Jubiläum der ersten Kommunalwahlen nach dem Zweiten Weltkrieg gehalten hat:

„Viele von uns haben noch die Bilder vor Augen, die uns in erschreckender Weise zeigen, was die durch Regen anschwellenden Wassermassen im Ahrtal bewirkt haben: Mitgerissene Brücken, eingestürzte Häuser, unpassierbar gewordene Straßen und Eisenbahngleise. Ein Inferno!

Solche Bilder waren im Deutschland des Jahres 1945 Normalität. Der Krieg hat Städte, Dörfer, Landstriche zu Trümmerfeldern und Wüstungen werden lassen. Es herrschten große Wohnungsnot und Hunger und auch unzählige körperlich und psychisch Versehrte kämpften um ihr Überleben.

Zwölf Jahre Hitler-Diktatur hatten ihr Ende gefunden. Der noch in den letzten Kriegswochen propagierte Endsieg schien zu einer apokalyptischen Endzeit geworden zu sein, die kein Raum für Hoffnung ließ. Hat unser Land überhaupt eine Zukunft? Das war eine der vielen Fragen, die sich die Menschen stellten und auf die man kaum eine Antwort wusste.

Wohl aufgrund der sich abzeichnenden Konflikte mit den russischen Alliierten sahen vor allem die Amerikaner die Notwendigkeit, in Deutschland einen strategisch gut platzierten Verbündeten zu gewinnen. Das mag ein wichtiger Grund gewesen sein, Deutschland zu demokratisieren.

Der Tag der Kapitulation war für Bundespräsident Richard von Weizsäcker ein Tag der Befreiung. War das Ende der unbarmherzigen Diktatur für die Deutschen tatsächlich Anlass für ein Aufatmen?

Nicht für die Mehrheit, die ihre Hoffnung eher auf einen deutschen Endsieg gesetzt hatte, aber für die Insassen der Konzentrationslager, für die in der Zeit des Nationalsozialismus politisch Verfolgten, für ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene war es die langersehnte Wiedergewinnung nicht nur ihrer Freiheit, sondern vor allem auch ihres Menschseins.

Für die meisten anderen galt, sofern es sich nicht um Flüchtlinge und Vertriebene aus Mittel- und Osteuropa handelte: Sie „merkten es gar nicht“, Hitler war „weg“ und „die Besatzung herrschte“, mit einem parlamentarischen Regierungssystem konnten die meisten nichts anfangen, sie waren diesem Regierungssystem nach dem Scheitern der Weimarer Republik entfremdet.

Laut der von den amerikanischen Alliierten verkündeten Proklamation Nr. 2 Artikel II blieben bis auf weiteres alle Gesetze in Kraft, sofern sie nicht von der Alliierten außer Kraft gesetzt oder verändert wurden. So konnten Personen, deren demokratische Haltung außer Frage stand, rechtskonform zu kommissarischen Bürgermeistern eingesetzt werden.

Die mithin weiter geltende „Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 sah weder eine gewählte Vertretungskörperschaft noch ein gewähltes Verwaltungsorgan vor. Wahlen durch das Volk oder vom Volk gewählter Vertreter gab es nicht mehr.

Die Gemeinderäte waren nicht Inhaber eines Mandats, das ihnen eine politische Partei oder die Wahl der Bürgerschaft verlieh, sondern sie waren ausgewählte Ehrenbeamte der Gemeinde, die der örtliche Beauftragte der NSDAP im Benehmen mit dem Bürgermeister berief. Der Bürgermeister wurde nicht gewählt, sondern aufgrund von Vorschlägen mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde ernannt. Die Befugnisse und Stellung des Bürgermeisters folgten dem Führerprinzip.

So findet sich in den damals üblichen Protokollbüchern folgender vorgedruckter Einleitungssatz, der das Führerprinzip wiedergibt: „Nach Beratung mit den Gemeinderäten fasse ich folgende Entschließung." Mit „ich“ war der Bürgermeister gemeint.“

Nur gegen Skepsis und Widerstand innerhalb der amerikanischen Verwaltung und auch gegen organisatorisches Bedenken der noch im Aufbau befindlichen deutschen Parteien wurden für Januar 1946 Kommunalwahlen terminiert.

In der Militärverwaltung herrschte Zweifel, ob die Deutschen nach 12 Jahren Hitlerdiktatur für ein demokratisches System überhaupt schon bereit sind. Von daher wird auch verständlich, warum die Legislaturperiode auf nur zwei Jahre festgesetzt und eine 15%-Klausel überwunden werden musste. Die Kommunalwahl hatte wohl den Status eines Experiments.

Nach 12 Jahren nationalsozialistischer Diktatur fanden somit in Hessen Ende Januar 1946 erstmals wieder freie Wahlen statt. Von den so gewählten Gemeindevertretungen wurden die von der Besatzungsmacht eingesetzten provisorischen Bürgermeister entweder bestätigt oder abgewählt. Die als Versuch zugelassene Wahl übertraf die Erwartungen der Amerikaner; die Wahlbeteiligung betrug mehr als 80 Prozent.

Nunmehr forcierten die US-Behörden den Aufbau der Demokratie. Am 28. April gleichen Jahres wurde für die Kreistage, am 26. Mai in den kreisfreien Städten gewählt.

Die „Demokratisierung“ von unten erwies sich somit als überraschend erfolgreich.