"Bürgermeisterinnen und Bürgermeister können nicht eigenverantwortlich agieren!"
Forderungen und Vorschläge des VKWH an die Hessische Landesregierung, auch in Bezug auf die nur noch in Hessen und Bremerhaven geltende Unechte Magistratsverfassung
Sehr geehrter Herr Staatsminister Professor Dr. Poseck,
unter Bezugnahme auf die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD vom 18. Dezember 2023 und auch auf die Ihnen gegenüber ausgesprochene Ankündigung erlaube ich mir, Ihnen die Vorschläge und Bitten unseres Verbandes in der Hoffnung zur Kenntnis zu geben, dass sie bei den anstehenden Erörterungen berücksichtigt werden.
Vorab darf ich Sie auf eine schon seit Jahren in den Reihen der unserem Verband angehörigen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister stattfindende grundsätzliche Diskussion hinweisen, ob bzw. inwieweit es sinnvoll ist, nach Einführung der Direktwahl im Jahr 1992 an dem der Hessischen Gemeindeordnung geregelten Strukturprinzip der unechten Magistratsverfassung festzuhalten. Auch anlässlich unseres 2022 stattgefundenen 125jährigen Jubiläums wurde dieses Thema aufgerufen. Auf die beigefügte Jubiläumsschrift erlaube ich mir hinzuweisen.
Auch wenn man sich im Vorfeld der 1992 in Hessen eingeführten Direktwahl nicht zu einer grundsätzlichen Änderung der unechten Magistratsverfassung entschließen konnte, sollte es nunmehr Zeit sein, die Frage aufzuwerfen, inwieweit diese Kommunalverfassung, die nur noch in Bremerhaven und Hessen gilt, noch zeitgemäß ist.
So hat der VKWH bereits in seiner Verbandsmitteilung „Depesche“ vom 6. Dezember 2021 folgendes ausgeführt: „Auch wenn hinsichtlich der Hessischen Magistratsverfassung auf mehr als 210 Jahre zurückgeblickt werden kann, dürfte es nicht verkehrt oder gar verwerflich sein, in eine öffentliche Diskussion einzutreten, ob die in Hessen geltende, sogenannte unechte Magistratsverfassung noch zeitgemäß ist.“
Gerade in letzter Zeit wird mehrfach berichtet, dass in einigen Gemeindevertretungen und Gemeindevorständen kaum noch ein sachorientiertes Miteinander möglich ist. Das mag zum einen daran liegen, dass auch in der Kommunalpolitik der Ton rauer und aggressiver geworden ist. Aber auch die immer größer werdende Aufspaltung in Fraktionen und die hiermit einhergehenden Profilierungszwänge mögen eine gewisse Rolle spielen. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind dadurch in weitaus größerem Umfang Anträgen, schriftlichen Anfragen und Akteneinsichtsausschüssen ausgesetzt und können nicht eigenverantwortlich agieren. Hierbei verfügen eine Vielzahl von direkt gewählten Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern über keine Mehrheit und haben somit eine nur unzureichende Gestaltungsmöglichkeit . Bei den in den letzten zwölf Monaten stattgefundenen Wahlen wurden mehr als 25 Prozent der zur Wiederwahl angetretenen Amtsinhaber nicht wiedergewählt. Möglicherweise war in diesen Fällen die Wählerschaft enttäuscht, dass die ursprünglichen Wahlkampfaussagen nicht umgesetzt wurden oder die Ursachen nicht kommuniziert wurden. Bislang ist uns keine wissenschaftliche Untersuchung bekannt, mit der die Vorzüge und Nachteile der unechten Magistratsverfassung gegenüber der süddeutschen Ratsverfassung untersucht wurden.
In der Publikation der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung mit dem Titel „Die Spielregeln der Demokratie in den hessischen Gemeinden, 210 Jahre Magistratsverfassung“ ist zu lesen: „Kritiker der Magistratsverfassung, die über keine Detailkenntnisse und keine Praxiserfahrung verfügen, neigen daher leicht zu dem Schluss, die Magistratsverfassung sei schwerfällig und mit der Urwahl des Bürgermeisters kaum zu vereinbaren, weil die Erwartungen der Bürgerschaft an einen von ihr direkt gewählten Bürgermeister wegen dessen Machtlosigkeit zwangsläufig enttäuscht werden müssten“. Diese greift jedenfalls zu kurz.
Wer sonst, wenn nicht die hessischen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, verfügen über Detailkenntnisse und Praxiserfahrung. Und wenn diese an der in Hessen geltenden Kommunalverfassung Kritik üben, muss das ernst genommen werden.
Um es klar zu stellen: Dem VKWH geht es derzeit nicht um die Abschaffung der unechten Magistratsverfassung, sondern zunächst nur um einen auf den politischen Ebenen und den Verbänden zu führenden Diskurs.
Dies vorangestellt, listen wir nachfolgend unsere Vorschläge und Wünsche auf und bitten um entsprechende Berücksichtigung:
- Rechtliches Gehör bei Abwahlanträgen
Kommunale hauptamtliche Wahlbeamtinnen und Wahlbeamte müssen derzeit während der Sitzungen, in denen über einen Abwahlantrag zu entscheiden ist, gemäß § 25 HGO den Sitzungsraum verlassen. Das verstößt unseres Erachtens gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Gerade dann, wenn es um ihre berufliche Zukunft geht, sollte ihnen das Recht eingeräumt werden, sich zu rechtfertigen. § 25 Absatz 2 HGO sollte wie folgt ergänzt werden: „Abs. 1 gilt nicht für Abberufungen gemäß § 76 HGO und für die Stimmabgabe bei Wahlen.“ Alternativ könnte § 76 HGO dahingehend ergänzt werden, dass neben § 63 HGO auch § 25 Absatz 1 HGO keine Anwendung findet.
- Rückkehrrecht in den öffentlichen Dienst
Derzeit können laut Umfrage des Hessischen Städte- und Gemeindebundes über vierzig Prozent der hauptamtlichen kommunalen Wahlbeamtinnen und Wahlbeamten nach ihrem Ausscheiden kein Rückkehrrecht in den öffentlichen Dienst geltend machen (§ 40a HGO), weil sie zuvor nicht entsprechend beschäftigt waren. Bedenkt man, dass - wie bereits ausgeführt - in den letzten neun Monaten in Hessen 25 Prozent der Amtsinhaber nach nur einer Amtszeit nicht wiedergewählt wurden, ergibt sich hierdurch eine die Attraktivität des Bürgermeisteramtes beeinträchtigende Ungleichbehandlung.
Da ein weitergehendes Rückkehrrecht gesetzlich nicht geregelt werden kann, sollten die 2015 deutlich verschlechterten Versorgungsregelungen korrigiert werden. Das Bürgermeisteramt erfordert eine überdurchschnittliche Qualifikation. Wer, der hierüber verfügt, wird sich zur Wahl stellen, wenn er – trotz guter Amtsführung – damit rechnen muss, nach nur einer Amtszeit nicht wiedergewählt zu werden und dann keinen Pensionsanspruch zu besitzen. Von daher sollte statt das mit Einschränkungen einhergehende Altersgeld durch einen uneingeschränkten Pensionsanspruch ersetzt werden.
- Antrag auf Versetzung in den Ruhestand mit Vollendung des 65. Lebensjahr.
Von einigen unserer Mitglieder war zu hören, dass sie sich ernsthaft überlegen, ob sie für eine weitere Amtszeit kandidieren sollen. Hierfür war ausschlaggebend, dass sie mit Erreichen ihres 65. Lebensjahres nicht auf Antrag in den Ruhestand versetzt werden können, sondern, um nicht ihre Pensionsansprüche zu verlieren, die gesamte Wahlzeit ableisten müssen. Der VKWH sieht hier einen entsprechenden Handlungsbedarf.
- Verlängerung der Wahlzeit auf acht Jahre, gegebenenfalls nach erfolgter Wiederwahl.
Hierbei handelt es sich um eine schon länger bestehende Forderung des VKWH. Dadurch soll ein kontinuierliches Arbeiten über einen längeren Zeitraum ermöglicht werden, wie es sich in anderen Bundesländern längst bewährt hat.
Hintergrund ist vor allem auch die Notwendigkeit, künftig qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber für dieses wichtige Amt zu finden. Dazu ist das Amt des Bürgermeisters attraktiv zu gestalten und dem interessierten Bewerberkreis eine längerfristige berufliche Perspektive zu ermöglichen. Ein solcher Anreiz ergäbe sich auch, wenn nach erfolgter Wiederwahl eine entsprechende Amtszeitverlängerung einträte.
- Pensionsanspruch nach 6 Jahren Amtszeit
Insbesondere die Regelung, dass erst nach einer Amtszeit von acht Jahren ein Pensionsanspruch entsteht, muss unbedingt wieder auf sechs Jahre reduziert werden. Da wie bereits ausführt, nicht ausgeschlossen werden kann, dass man trotz guter Amtsführung nach sechs Jahren nicht wiedergewählt wird, ist die jetzige Regelung für potentielle Bewerberinnen und Bewerber ein Hemmnis. Eine solche Änderung entfiele jedoch, wenn die Wahlzeiten grundsätzlich acht Jahre betrügen.
- Anpassung der Aufwandentschädigungen
Bereits mit Schreiben vom 26. April 2021 an das Hessisches Ministerium des Innern und für Sport wurde eine Anpassung der Dienstaufwandsentschädigungen für kommunale Wahlbeamte für dringend geboten erachtet. Dies wurde wie folgt begründet:
„Unbeschadet der Frage, ob die Besoldung der hessischen Wahlbeamten angesichts der gestiegenen Anforderungen und Herausforderungen noch angemessen erscheint, ist die Dienstaufwandsentschädigungen den zwischenzeitlich gestiegenen Verbraucherpreisen anzupassen. Dies ist letztmalig 2000 erfolgt (LT-Drs. 15/1676). Unter Bezugnahme auf die zuvor im Jahre 1990 angepasste Erhöhung und auf die innerhalb von zehn Jahren gestiegenen Verbraucherpreise wurde seinerzeit eine Erhöhung um 20 v.H. beschlossen.
Im Jahre 2000 lag der Indexwert der Verbraucherpreise bei 79,5. Für 2015 wurde der Wert sodann auf 100 festgelegt. Im Januar 2021 betrug der Wert sodann 106,3. In der Summe bedeutet dies seit 2020 eine Steigerung um rund 27 v.H. (siehe „Verbraucherpreisindex (inklusive Veränderungsraten) nach Monaten“ in https://www-genesis.destatis.de)
Geht man infolge der Covid-19-Pandemie nicht unrealistisch von einem zu erwartenden deutlich höheren Anstieg der Verbraucherpreise aus, dann dürfte für den 1. Januar 2023 von einer Steigerung gegenüber 2000 von circa 30 v.H. auszugehen sein. Um diesen Wert sollte die Dienstaufwandsentschädigung erhöht werden.
Darüber hinaus erscheint es vernünftig, eine Regelung in Betracht zu ziehen, wonach in kürzeren Abständen eine Anpassung durch das für Dienstrecht zuständige Ministerium erfolgen kann.
- Anrechnung der in einem anderen Bundesland abgeleisteten Dienstzeiten als Kommunaler hauptamtlicher Wahlbeamter
Es sollte ein Weg gefunden werden, damit außerhessische Amtszeiten als kommunaler Wahlbeamter beim Ausscheiden nach einer Amtszeit derart in Anrechnung gebracht werden, dass der Eintritt in den Ruhestand erfolgt. Das könnte dadurch erreicht werden, dass in § 40 Abs. 2 Nr. 1 HGO die Vorgabe „eine Amtszeit“ durch „eine Gesamtamtszeit“ ersetzt wird. Hierdurch ergäbe sich ein Anreiz für besonders qualifizierte hautamtliche Kommunalbeamten, aus einem anderen Bundesland nach Hessen zu wechseln.
- Einrichtung eines Entscheidungsrechts des Bürgermeisters hinsichtlich der Besetzung der Position des/der Ersten Beigeordneten als sein gesetzlicher Stellvertreter.
Es ist keine Seltenheit, dass dort, wo die Bürgermeisterwahl nicht den Erwartungen der Mehrheitsfraktionen entspricht, mit der Wahl eines Ersten Stadtrates beziehungsweise Beigeordneten bewusst eine konfrontative Situation entsteht und ein unbedingt erforderliches Vertrauensverhältnis zwischen Bürgermeister und seinem Stellvertreter Rechnung nur bedingt entstehen kann.
- Besoldung
Die Attraktivität eines Bürgermeisteramtes ist vor allem auch mit der einhergehenden Vergütung verbunden. Wenn man den erheblichen Zeitaufwand von wöchentlich nicht selten sechzig Stunden, die in der Regel zweistellige Millionen Euro Finanzverantwortung die Personalführung sowie die Vielzahl von abendlichen Sitzungen betrachtet, dann führt der Vergleich mit halbwegs entsprechenden Geschäftsführerpositionen in der Privatwirtschaft zu einem deutlich höheren Jahreseinkommen. So liegt beispielsweise die durchschnittliche GmbH-Geschäftsführervergütung bei einem Umsatz von 5 bis 25 Millionen Euro bei über 150.000 Euro.
Mit freundlichen Grüßen
Karl-Christian Schelzke
Geschäftsführer